Brandstifter und Konsorten
Wahlkampfdebatte auf Kosten von Jugendlichen – pfuii Deibel!!!
Unter dieser Überschrift nehmen Streetlife e.V. und die Kampagne Entschlossen OFFEN! Stellung zur aktuell in Politik und Medien breit ausgewalzten Debatte über Jugendkriminalität, Strafrecht und repressive Maßnahmen.
Wer die Stellungnahme mit unterzeichnen möchte, kann dies u.a. durch Kommentar auf dieser Seite tun.
Brandstifter und Konsorten
Wahlkampfdebatte auf Kosten von Jugendlichen – pfuii Deibel!!!Es ermüdet, wenn immer wieder in Wahlkampfzeiten Politiker, die keine Visionen mehr haben, wie sie positiv verändernd diese Republik demokratisch gestalten könnten, zu den dümmsten Mitteln des Populismus greifen und Migranten oder die Jugend oder am besten Migrantenjugendliche zum Hauptproblem dieses Landes hochstilisieren. Jetzt fehlt nur noch, dass jemand auf die Idee kommt, Kinder in den Knast zu stecken!
Wahlkampfpolitik für die so genannte Mitte lässt sich wunderbar mit dem Thema Sicherheitsgefühl machen. Übersteigertes Sicherheitsbedürfnis von Bürgern hat seinen Ursprung in subjektiv gefühlter Kriminalität, die mit objektiven Verhältnissen nichts zu tun hat. Eine Hauptursache des subjektiven Kriminalitätsempfindens liegt darin, dass vielen Bürgern ihr Sicherheitsempfinden abhanden gekommen ist durch die enormen, teils diffusen, Existenzängste, denen sie ausgesetzt sind. Ständiger Abbau von Arbeitsplätzen, hoher Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt, drohende Umweltkatastrophen beispielsweise.
Diesen Ängsten ein Ventil zu geben, vermeintlich reale Verursacher dingfest zu machen und zu signalisieren, dass wenn diese angeblichen Schuldigen hart bestraft würden, wir eine heile Republik bekämen, ist Sinn derartiger populistischer Wahlkampfdebatten.
Im so genannten Raubtierkapitalismus, einer Gesellschaft, in der soziale Kälte vorherrscht, jeder jeden zu übervorteilen sucht, soll mit denen, die an den gesellschaftlichen Rand gedrängt sind, nun mal nicht zimperlich umgegangen werden.
Nichts desto trotz handelt es sich bis heute bei Jugendkriminalität in der Regel um Bagatelldelikte. Statistische Aussagen über Kriminalität von ausländischen Jugendlichen werfen ein trauriges Licht auf die Art und Weise, wie dieses Land mit jungen Menschen umgeht, die hier geboren wurden, hier aufgewachsen und sozialisiert sind: Sie werden als Ausländer stigmatisiert und ausgegrenzt, obwohl sie eindeutig Mitglieder unserer Gesellschaft sind.
Nach Aussagen von Kriminologen ist weder die Jugendkriminalität noch die Gewaltkriminalität junger Menschen in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Die Behauptungen, die Jugendkriminalität steige und die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen nehme ständig zu, können weder durch Kriminologen, noch durch Ministerial- oder Regierungsberichte gestützt werden.
Der jährliche unermessliche Schaden, den Erwachsene durch Wirtschafts- und Umweltkriminalität, Subventionserschleichung, Steuerhinterziehung, Korruption, Versicherungsbetrug, Drogen-, Waffen- und Menschenhandel unserem Gemeinwesen zufügen, findet im Wahlkampf keinen Widerhall. Die massiven Gewalttaten (körperlich wie seelisch) von Erwachsenen gegenüber Kindern und Jugendlichen in Familien, Erziehungsinstituten und im öffentlichen Raum finden ebenfalls eher keine Beachtung.
Die populistischen Forderungen nach Strafverschärfungen im Jugendstrafrecht stehen im krassen Widerspruch zu den Ergebnissen empirischer Kriminalitätsforschung: Kriminalität wird durch härtere Sanktionen nicht verringert, sondern eher gefördert. Innere Sicherheit wird durch solche Konzepte nicht erhöht, sondern eher gefährdet, da Steuergelder in sinnlose Maßnahmen investiert werden (Beispiel GU Feuerbergstraße), statt sie dort einzusetzen, wo erzieherisch und integrativ ein hoher Bedarf an Mitteln wäre.
Forschungen belegen, das negative Entwicklungsdynamiken krimineller Jugendkarrieren nur durch die Verbesserung der Chancen dieser Jugendlichen auf gesellschaftliche Teilhabe durchbrochen werden können.
Bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts bezeichnete der bürgerliche Strafrechtler Franz von Liszt eine gute Sozialpolitik als die beste und wirksamste Kriminalpolitik.
Soziale Sicherheit. Wir brauchen Konzepte sozialer Sicherheit. Jugendlichen müssen Perspektiven gegeben werden, anstatt sie abzustrafen und wegzusperren. Ihre Familien brauchen eine gesicherte Existenz frei von Überlebenskampf und Überlebensängsten.
Der größte Skandal in diesem Lande ist, das in einer Stadt wie Hamburg jedes vierte Kind in Armut aufwächst, in einer Familie mit einem Einkommen an der Existenzgrenze.
Was wir in dieser Republik wirklich dringend benötigen, ist eine geistig-moralische und sozialpolitische Wende.
Weg von einem Klima, das den sozial Ausgegrenzten und Abgehängten (sogen. Prekariat) die individuelle Schuld und Verantwortung für ihre Armut und ihre prekären Lebensverhältnisse zuschreibt, hin zu einer Politik, die bereit ist die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass alle Bürger im Land in die Lage einer sozialen und ökonomischen Teilhabe versetzt werden.
Wir stellen fest:
Seit Pisa wissen wir, das wir in Deutschland gegenüber fast allen anderen europäischen Ländern einen riesigen Nachholbedarf an Bildung haben. Vorschläge zur Reform unseres Schulsystems gibt es genug. Diese Zuckertüte ist riesengroß und sie strotzt nur so von humanistischen bildungseröffnenden und liebevollen Ideen.
Aus unserer jahrelangen Vorortpraxis wissen wir, dass Bildung im Kindergarten anfängt. Es ist ein Skandal, das Hamburger Kindergärten nicht selbstverständlich und kostenlos allen Kindern zur Verfügung stehen, das alle vorhandenen Kindergärten mit zu wenig und nicht ausreichend ausgebildetem und unterbezahltem Personal bestückt sind, die Gruppenstärken entgegen aller wissenschaftlichen Erkenntnisse immens zu groß sind, es so gut wie keine männlichen positiven Bezugspersonen gibt. Wo sind sie denn, die Männer, die sich für unsere Kinder bereit sind, zu engagieren? Statt die kleinen Mäuse in Würde und Ruhe in kleinen Gruppen andere Menschen und die Natur ein bisschen erfahren zu lassen, wird von ihnen erwartet, bei der Einschulung schon Lesen und Schreiben zu können.
Gute Hamburger Ansätze aus den 80ger Jahren zur Teilhabe der Unterschichtsjugendlichen an Bildung und Ausbildung, wie Hauptschulabschluss-, Berufsvorbereitungs- und Berufsausbildungsprojekte wurden bis auf wenige Ausnahmen in den letzten Jahren zerschlagen. Manche wurden in der pervertierten Form einer restriktiven 1-Euro-Zwangsmaßnahme wieder zum Leben erweckt. Im übrigen sind viele aus den damaligen Ausbildungsprojekten gute Facharbeiter geworden.
Mit der Einführung von Hartz IV mit seinem Papierwust wurde ein Instrument geschaffen, arbeitslose Familien noch mehr zu gängeln und zu demütigen, als es vorher schon der Fall war. Das Ergebnis ist, das diese Familien, besonders die alleinerziehenden Mütter noch mehr in Mutlosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Vereinsamung versinken. Dank Internet ziehen sich die einen zurück in die virtuelle Computerwelt und bauen sich dort eine Märchenexistenz. Andere werden Dank ihrer Ärzte zu Nutzern der Pharmaindustrie, wieder andere helfen dabei, die Steuereinnahmen aus der Alkoholsteuer zu maximieren. Die Leidtragenden sind wieder mal diese Kinder und Jugendlichen, denen die Schuld an ihrer aus der Verlassenheit resultierenden Auffälligkeit gegeben wird.
In den Massentransportmitteln sitzen sie nun beieinander, die einen, in Lohn und Brot lebend, die für ihre Kinder und Enkelkinder das Abschmelzen der Pole verhindern wollen, und die anderen, die täglich um ihre Würde, Teilhabe und einen günstigen Fahrausweis kämpfen müssen. Sie beobachten sich misstrauisch. Nur dort findet, dank der seit Jahrzehnten auseinanderklaffenden gesellschaftlichen Schere eine unmittelbare Begegnung statt. Spätestens in dieser Situation, während der kurzen gemeinsamen Fahrt, spüren die einen, dass es die anderen gibt. Normalerweise erfahren sie voneinander nur im Fernsehen, wo die einen vorgeführt werden, die anderen als erstrebenswerte heile Glitzerwelt erscheinen.
Meist werden die Formen von Widerstandsäußerungen unserer Kinder und Jugendlichen aus Unterschichtsfamilien gegen unhaltbare Lebensbedingungen als individuelles abweichendes Verhalten eingestuft und entsprechend sanktioniert.
Die künstlerische Form des Widerstandes unserer Jugendlichen, die sich in Raptexten oder Graffiti artikuliert, wird entweder ignoriert oder (wie bei den Graffiti) kriminalisiert.
Wir fordern:
Verankerung sozialer und individueller Kinderrechte in der hamburgischen Verfassung. Einklagbarer Schutz vor Armut, Ausgrenzung und Benachteiligung, sowie eigenständiger Jugendhilfeanspruch. Kostenlose Kindertagesstätten (inkl. Krippen und Horte) mit kleinen Gruppen und hochqualifiziertem Personal als selbstverständlicher Rechtsanspruch und gesellschaftliche Normalität für alle Kinder. Der Besuch ist freiwillig. Fördermaßnahmen und Gesundheitsvorsorge werden dort regulär angeboten. Elterncafés mit Sprach- und Alphabetisierungskursen sowie Beratungsangeboten sind angegliedert. Reform des ausgrenzenden Schulsystems. Eine Schule für alle Kinder bis mindestens Jahrgang 10. Klassenstärken von maximal 15-20 Kindern. Schulen als Orte der Stadtteilkultur. Kinder- und Familienhilfezentren (KiFaZ) mit integrierten Familienhebammenprojekten in allen Hamburger Quartieren Stadtteilkulturzentren und Nachbarschaftshäuser in allen Quartieren Jugendstadtteilkulturzentren, in denen Jugendliche unter professioneller Anleitung ihre Kultur im Stadtteil schaffen können (z.B. Graffity, Rap, Breakdance, Tanz, Jugendtheater,…) und die mit Schulen und Jugendeinrichtungen zusammenarbeiten. Stadtteilsport ohne Vereinszugehörigkeit. Unterstützung von Strassenfußballmannschaften. Mindestausstattung aller Jugendeinrichtungen mit 2 pädagogischen Vollzeitstellen. Gästewohnungsprojekte für obdachlose Jugendliche und Jungerwachsene in allen Quartieren. Berufsvorbereitungsprojekte in allen Quartieren. Eine flächendeckende Versorgung Hamburgs mit Berufsausbildungsprojekten für Jugendliche mit und ohne Hauptschulabschluss. Sofortige Schließung der Geschlossenen Unterbringung (GU) Feuerbergstraße. Statt (insbesondere) migrantische Jugendliche zu stigmatisieren und zu kriminalisieren fordern wir von allen politischen Parteien einen grundsätzlichen Verzicht auf Wahlkämpfe zu Lasten von und auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen. Nach wie vor gilt für uns der Grundsatz: Nicht Kinder und Jugendliche sind gefährlich für die Gesellschaft, sondern umgekehrt gefährdet ein solches gesellschaftliches und politisches Diskutieren und Handeln massiv ein gelingendes Heranwachsen und das Herstellen positiver Lebensbedingungen. Streetlife e.V. – der Vorstand –
Diese Stellungnahme unterstützen (Stand 05.02.2008):
Straßensozialarbeit Rahlstedt / Schlupfloch-Gästewohnungen für obdachlose Jugendliche in Rahlstedt / Jörn Stronkowski, Jugendzentrum Startloch / Verband Kinder- und Jugendarbeit Hamburg e.V. / Kinder- und Familienzentrum Schnelsen / Jugendclub Burgwedel / Christian Violka, Pestalozzi Stiftung Hamburg / Roman Zillmer, Jugendgruppe Grunewaldstraße e.V. / Nina Siebert, Bauspielplatz Berne / Dagmar Klages / Team ASP Linse / Kinder- und Jugendtagesstätte Silbersack, Markus Göz/ ASP Wegenkamp e.V. / Prof. Dr. Timm Kunstreich, Ev. Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie / Amrei Fiedler, Studentin / Swetlana Schefer, Studentin Uni HH, Mentorin bei Verikom e.V. / Richard Sorg, Hochschullehrer / Nina Brunke, Schülerin / Finn Kevin Meyer, Schüler / Mia Panther, Studentin / Herrmann Hardt, Dipl. Sozialpädagoge / Shirin Kettel, Studentin / Malin Kettel, Studentin / Holger Wolter, Sozialarbeiter / Jaqueline Gebhardt, KIDS HH, Basis&Woge e.V. / Thekla Kettel / Pirkko-Lillan Meyer, Studentin / Mike Stobbe, Gärtner / Barbara Meyer, Erzieherin / Andreas Heiß, Veranstaltungstechniker / Nicolas Meyer, Student / Matthias Behr, Student / Projekt „Andere Umstände“ / Annika Fabig, Hausfrau und Mutti / Kristina Rohr, Mutter und Hausfrau / Gwenn Mabileau, Industriemechaniker / Bramfelder Kulturladen e.V. / Viola Engels, Krankenschwester / Carmen Feddern / Gudula Fiedler-Bendt / Offene Kinder- und Jugendarbeit der Markuskirchengemeinde / Flüchtlingsrat Hamburg e.V. / Jan Moritz Ploch, Mediengestalter / Philipp Martini, JWWL, Student / Sozialpolitische Opposition Hamburg / Peter Gerdes, Lehrer Fachschule f. Sozialpädagogik II (FSPII) / Jugend- und Freizeitzentrum Bahrenfeld, U. Kea Grönniger / Jugendbüro Jenfeld / Carola Timmann, Erzieherin / Michael Koch, Erzieher / Jugendberatungszentrum der Ev. Stiftung Bodelschwingh / Inge Kazamel, Spielhaus Alsterdorf e.V. / Monika Vietmeyer & Nicos Kachelos, Teekeller Großlohe / Patrick Bieber, Biba+Band, Student / Björn Grumbach, Schüler Kunstschule Wandsbek / Sonja Lohmeyer, Schülerin Kunstschule Wandsbek / K.-P. Berndt, jetzt-Jungerwachsenentreff alraune gGmbH / Olaf Harms, Ver.di, BR-Vorsitzender / Allerleirauh e.V. / Aktivspielplatz Farmsen e.V. / Ver.di Fachgruppe Kinder- Jugend- und Sozialpolitik / Mitarbeiterteam Jugendclub Hörgensweg / Barbara Wolter, Schulleiterin FSP II, / Michael Gerber, Erzieher Kinder- und Jugendarbeit / Nicola Krause, Pädagogin, Anwalt des Kindes Hamburg e.V. / Helga Treeß, Hochschullehrerin, Ev. Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie / Katharina Bruchmann, Sozialpädagogin / Jenny Oleroy, Sozialpädagogin / Team der Flexiblen Betreuung von SME / Caroline Rapp, Diplom Kriminologin, Leitung Mädchentreff Bachstrasse (Jarrestadt-Leben e.V.) / Bündnis gegen Rechts / Spielgelände Gleiwitzer Bogen e.V. / Burkhard Czarnitzki, Sozialarbeiter, Basis&Woge e.V./KIDS / Beate Rein, Sozialarbeiterin, Basis&Woge e.V./KIDS, Stefan Schurr, Sozialarbeiter, Basis&Woge e.V./KIDS / Malte Block, Dipl. Pädagoge, Basis&Woge e.V./KIDS / Adden Meent, Dipl. Pädagoge, Basis&Woge e.V./KIDS / Marcus Appel, Student Uni HH / Manfred Brandt, Student Uni HH / Heike Escher, Studentin Uni HH / Motte e.V., Stadtteil- und Kulturzentrum in Ottensen
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